Sonntag, 05 Januar 2014 21:24

Weniger ist manchmal mehr...

„Das brauchen wir alles nicht!"

sagte mir im Sommer eine nette junge Dame und meinte damit den Festzug der Bilker Schützen in Düsseldorf.

„Wer braucht schon verkleidete Menschen und alte Männer mit Bierbäuchen?" so der Kommentar. Zugegeben, die Worte trafen mich, schließlich bin (auch ich mit Bierbauch) in die Jahre gekommen und gleichzeitig Pressesprecher der Bilker Schützen.
Viele Beiträge schreibe ich, die zeigen sollen was die Schützenvereine für die Allgemeinheit leisten. Fast eine halbe Million €uro fließen allein in Düsseldorf an Spenden in das Allgemeinwohl, Jugendarbeit, Altenpflege und vieles mehr kommen dazu. Bundesweit resultiert eine monatliche Wertschöpfung von rund € 72 Mio.durch ehrenamtliches Engagement in den Schützenvereinen.

„Das brauchen wir alles nicht!" ... das machte mich sprachlos.. Unwissenheit? Was steckt hinter solchen Worten, die schließlich eine Ohrfeige ins Gesicht all derer ist, die sich für's Allgemeinwohl engagieren.

„Solche Worte von der Generation die sich der Toleranz verpflichtet fühlt..." dachte ich und meine Gedanken wanderten zur Loveparade. Auch ein Festzug, keine verkleideten Menschen, sondern eher weniger Kleidung – für eine andere Generation eben! Da bin ich tolerant aber hinterfragte was das außer Spaß dem Gemeinwohl bringt – außer massig Schäden und Kosten für die Polizeieinsätze.

Inzwischen wissen wir Alle, dass wir ganz bewusst über die Besucherzahlen der Loveparade getäuscht worden sind. Werbewirksam muss alles sein - wie so oft! Wer nicht dabei sein will ist Out. Wir sind weider einmal auf die Werbung hereingefallen die uns so manches suggeriert.

Werbung, damit meine ich (auch) das Märchen vom geilen Geiz. Viele Menschen glauben daran, raffen was sie kriegen können, arbeiten bis zum geht-nicht-mehr und opfern unbezahlbare Lebenszeit für Dinge die sie im Grunde gar nicht brauchen.
Familien und Freundschaften verlieren dabei, wir können uns heute fast alles kaufen – aber verspüren wir dabei noch tiefe Freude? Eher doch kurzfristige Befriedigung... mit dem Zwang zum nächsten Frust-Vermeidungskauf.

Noch heute - 2 Jahre später - empfinde ich eine tiefe Trauer ob dieser jungen Menschen, die da so unnötig ihr Leben verloren. Junges Leben das innerhalb von Minuten endete. Ich sehe noch die vielen Bilder und Kerzen vor mir.. das Wort "WARUM?" auf Plakaten, Schildern und Hauswänden.

Loveparade... das war Party - Spaß ... in Essen war ich noch dabei.. und für mich eine tolle Veranstaltung.

Gespart wurde in Duisburg auf Kosten der Menschen - der Kommerz hat gesiegt ... da hört jeder Spaß auf. Ein Fest der Liebe wurde zum Event des Geldes,so wie vieles was wir heute kaufen, erleben, konsumieren... nicht alles ist mit Liebe gemacht und hergestellt... aber nicht weniges geht inzwischen auf Kosten der Menschen.

Abgesehen davon das meine Kinder eigentlich auch nach Duisburg wollten.... (mein Schutzengel hatte gottlob die Idee, an diesem Nachmittag eine kleine Familiensause auf der Düsseldorfer Kirmes zu engagieren...) war ich verblüfft und traurig zugleich, wie wenige Menschen Anteil Verlust der 21 jungen Menschen nahmen.

Viele Gespräche mit Kunden...aber der Kratzer am Auto, die täglichen Wehwechen, das neue Parfum und die Kegeltour, das bewegte die Menschen! So erlebte ich die Woche nach der Katastrophe.

Wir glauben der Werbung, konsumieren bis an die Grenze des Machbaren und verlieren den Blick für wesentliche Dinge, wir übersehen das es bei Billig – Billig immer etwas auf der Strecke bleibt. Die Qualität, Service, Gesundheit, Sicherheit oder der Mensch. So wie in Duisburg.

Schuldige sind immer schnell gefunden, zumindest in der Presse. Das OB Sauerland die Loveparade nach Duisburg holen wollte wird verständlicher wenn man die Stadt näher betrachtet: eine gebeutelte Stadt, seit Jahren in den Miesen, den letzten ausgeglichenen Haushalt gab es 1992. Mit dem Ende der Stahlindustrie verlor die Stadt Zigtausende Arbeitsplätze – (den Stahl für unsere Industrie gab es jetzt woanders billiger) und Einwohner. 2009 lebten noch 493.000 Menschen in Duisburg, jeder Fünfte hat die Stadt verlassen, nur jeder Dritte arbeitet in sozialversicherungspflichtigen Jobs. Schulen, Einrichtungen, Schwimmbäder – alles geschlossen.
Das er keine Verantwortung übernehmen wollte, keine (oder nur sehr wenig) Trauer zeigt und so weitermachen wollte wie bisher... das ist nicht OK.

Sparen an der Sicherheit, Lügen, mangelnde Verantwortung all das ist nicht zu entschuldigen. Allerdings: Profitgier mag ich ihm nicht unterschieben, eher den Versuch etwas Positives für seine Stadt zu bewirken. Bis dahin hatte er einen guten Job gemacht, so hört man. NRW Innenminister Jäger, wies direkt jegliche Schuld von sich. Für die Polizeieinsätze verantwortlich - zeigen sich heute - gravierende Mängel und Fehlentscheidungen. Aber keine Konsequenzen.

Auch er ist auf die blendende Werbung hereingefallen – so wie wir jeden Tag aufs Neue. Hinterher ist man meistens schlauer! Wenn irgendwann unsere Sozialsysteme zusammenbrechen sollten werden unsere Kinder auch vielleicht sagen: „Das hättet Ihr wissen müssen!"

Immer mehr, immer besser, immer billiger – das wird auf Dauer nicht gehen. Vielleicht ist weniger doch eben mehr....

2010

 




Letzte Änderung am Donnerstag, 23 Juli 2015 22:16