Ferdinand Freiligrath

125 Jahren gestorben:

Ferdinand Freiligrath genoss die Bilker Landluft

Am 18. März vor 125 Jahren starb der Dichter Ferdinand Freiligrath, der als Dichter der Revolution von 1848 berühmt wurde. Zweimal hat er für einige Zeit in Düsseldorf gelebt, eine seiner damaligen Adressen war die heutige Neusser Straße 133.

Geboren wurde der Dichter am 17. Juni 1810 in Detmold. Nach der Niederlage Napoleons war der Weg freigegeben für einen sich hemmungslos entwickelnden Nationalismus, der dann auch das Gesicht des 19. Jahrhunderts bestimmte. Als die erste Welle des nationalen Rausches über Europa hinwegging, war Ferdinand Freiligrath noch ein Knabe, und als er die Schule verließ, befanden sich unser Deutschland und Europa bereits im tiefen Schlaf biedermeierischer Geruhsamkeit, so dass die jungen Jahre des Dichters wohl ohne Wirkungen an ihm vorübergingen.

Als die Berufsfrage 1825 in sein Leben eingriff und er - auf Wunsch des Vaters -eine Lehre als Kaufmann in Soest begann, brachte auch dies keine Veränderung seiner Umwelt mit sich. Nur ungern fügte der junge Freiligrath sich in den Zwang des Kaufmannsberufs. Aber sein Fleiß, die Neigung zu freien Studien, erleichterte ihm das Erlernen fremder Sprachen. Er betrieb ihr Studium so gründlich, dass er später meisterhaft aus dem Englischen, Französischen und Italienischen übersetzen konnte.

Schon früh zeigte sich eine beachtliche Reife, und das während einer Erkrankung mit 16 Jahren geschriebene Gedicht Moostee ist ein Beweis dafür. Bald war es nicht mehr die Romantik alten Stils, die Romantik der Wunderwelt; der blauen Blume, die sich in ihnen offenbarte, sondern die Romantik der anbrechenden neuen, freieren Zeit, die sich in der Form der Einbeziehung der fremden Erdteile in ein weltumspannendes Wirtschaftsnetz of-fenbarte und die Menschen erregte. In diesen Jahren entstanden die Gedichte der Wüste und des afrikanischen Urwaldes, der Löwenritt am Kongo und als eines der frühesten Die Auswanderer; Gedichte, die so abwegig von allem Zeitgemäßen und von solcher berauschenden Ausdrucksgewalt waren, dass sie, als sie in den Kalendern und Cottas Morgenblatt erschienen, Anklang und Aufmerksamkeit bei jedermann fanden.

Als 1838 seine Gedichte in Buchform erstmals veröffentlicht wurden, schien die Romantik um einen späten Stern bereichert, der alles, was bisher die deutsche Seele zum Erglühen gebracht hatte, weit überstrahlte. Wie sein Dichten war auch sein Leben. Kaum hatte er das Honorar für dieses Buch in der Tasche, siedelte er sich - seinen romantischen Gefühlen folgend - am Rhein an, zuerst in Unkel und dann, nach seiner Heirat mit Ida Melos, in St. Goar.

Der unangetastete Ruhm brachte ihm 1842 eine Ehrenpension des Königs von Preußen ein, mit jährlich 300 Talern.

Aber so desinteressiert an den aufkommenden politischen Vorgängen war der junge Dichter nun doch nicht, dass er den abspielenden Ereignissen keine Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Und diese Beachtung der Geschehnisse bewirkte allmählich eine Änderung des geistigen Standortes. Was er sah und hörte, erschütterte seine Auffassung von der Rechtmäßigkeit der staatlichen Zustände aufs tiefste; obwohl er zunächst die Auffassung eines biederen, an keine Änderung der gesellschaftlichen Zustände denkenden Staatsbürgers hatte. Aber es war der in seiner westfälischen Art begründete Rechtssinn, der sich gegen die Verfolgung und Unterdrückung jeder freien Meinungsbildung und Meinungsäußerung empörte. Das Verbot der Rheinischen Zeitung, der Deutschen Jahrbücher, der Leipziger Allgemeinen Zeitung, Herweghs Verbannung und Hoffmanns Absetzung ohne Pension bekümmerten ihn sehr. In seiner offenen Art unterrichtete er alle seine Freunde von seinem Frontwechsel. Auf die königliche Pension, die er nur zweimal bezogen hatte, verzichtete er. Aus dem Schöngeist und Romantiker wurde der Trompeter der Revolution.

Erst jetzt begann sich seine Dichtung zu jener Vollendung zu entfalten, die ihr den dauerhaften Wert verlieh

Geistig hatte er sich bereits im Winter 1843/44 frei gemacht, als in wenigen Wochen sein Glaubensbekenntnis entstand. Viele seiner zahlreichen Freunde verstanden allerdings das Beispiel von Mut und Aufopferung nicht; das Freiligrath gab. Aber sie versagten ihrem Freunde die Anerkennung für seine dichterische Leistung nicht. Zwar war das nicht schwer, denn seit Goethe waren keine Gedichte von solcher Kühnheit in Deutschland erschienen.

Dem Glaubensbekenntnis folgten die sechs Gedichte des Ca ira. Hiernach war es unvermeidlich, dass Freiligraths Bleiben in Deutschland nicht mehr von langer Dauer sein konnte. Er wandte sich bald nach Brüssel und dann nach Zürich. Aber hier wie dort fand er keine Grundlage einer Existenz. Und so nahm er dann eine Korrespondentenstelle in London an. Als ihm aber ein Jahr später die Vorgänge der März-Ereignisse in Deutschland bekannt wurden, sieht er sein literarisches Wirken durch die Tat gekrönt und sein Plan stand fest, Dabeisein zu müssen.

Im Mai 1848 trifft er in Düsseldorf ein, einige Wochen zu spät, denn der 18. März hatte nicht gehalten, was er für die deutsche Geschichte zu werden versprach. Die Gegner der Revolution waren schon wieder auf dem Marsche, -die verlorenen Positionen zurückzuerobern. In Düsseldorf bezog er im Hause des Malers Ritter am Windschlag 273 -heute Oststraße 76 - eine Wohnung.

Zwei Kinder waren schon geboren: Katherine Karoline in Rapperswyl in der Schweiz und Wilhelm Wolfgang, der in London das Licht der Welt erblickte. Ständiger Gast im Hause war fortan Marie Melos, die Schwester seiner Frau und der Schweizer Dichter Gottfried Keller.

Als Nachhall zu den Ereignissen schrieb Freiligrath den flammenden Nachruf Die Toten an die Lebenden, der am 1. August in 9000 Exemplaren verbreitet wurde und überall Aufsehen erregte.

Am 28. August wurde Freiligrath verhaftet und bis zur Gerichtsverhandlung am 3. Oktober im Düsseldorfer Gefängnis festgehalten. Als er zur Verhandlung in den Gerichtssaal geführt wurde, empfing ihn die Menge mit zahlreichen Lorbeerkränzen. Während der Verlesung des Gedichtes erhob sich bei den Zuschauern ein langanhaltender Beifall. Der Beweis, durch das Gedicht die Bürger aufgehetzt zu haben, sich gegen die landesherrliche Macht zu erheben, konnte aber nicht erbracht werden. Freiligrath wurde freigesprochen. Von der begeisterten Menge wurde er unter einem Regen von Blumen in seine Wohnung geleitet, und am Abend brachte man ihm einen Fackelzug.

Freiligrath siedelte am 21. Oktober 1848 nach Köln um, um Redakteur der von Karl Marx herausgegebenen Neuen Rheinischen Zeitung zu werden. Nach deren Verbot im Mai 1849 blieb er noch ein Jahr in Köln. Dann kehrte er im Juni 1850 nach Düsseldorf zurück und wohnte in der Neusser Straße 133. In der Domstadt war die Tochter Luise Wilhelmine geboren worden, kurz nach dem Einzug in Bilk kam als vierter Spross Karl Otto dazu. Von seinen Kindern schrieb er beglückt, dass ihnen die Bilker Landluft gut getan hätte. Sie sind unberufen stärker und blühender als je. Freilich wühlen sie auch den ganzen Tag im Garten herum und sind an Gesicht, Hals und Händen braungebrannt von der Sonne wie ein wohlgerauchter Meerschaumkopf. Wir wohnen hier wirklich hübsch und angenehm. Aus seiner Wohnung im ersten Stock konnte er, wie er selbst schrieb, auf den Grafenberg sehen, eine für unsere Tage unvollstellbare Aussicht.

Leider war der Aufenthalt nicht von langer Dauer, denn von hier aus musste er am 24. September 1851, nachdem man einen Steckbrief gegen ihn erlassen hatte, die Flucht nach England antreten, diesmal für 16 Jahre. Dank seiner Sprachkenntnise gelang es ihm recht bald, sich eine Existenz zu schaffen.

1855 übernahm er den Posten eines Geschäftsführers einer Schweizer Bank und hatte fast die Stellung eines Gesandten aller Emigranten in London. Trotzdem beschäftigten ihn immer wieder die Gedanken an eine Rückkehr nach Deutschland. Das Heimweh machte ihn zwar nicht schwach, aber er war nicht gewillt, die Grundsätze seiner Überzeugung preiszugeben, und er weist alle Versuche seiner deutschen Freunde von sich, die sich um seine Heimkehr bemühten, denn die Entwicklung der politischen Verhältnisse ist nicht nach seinem Geschmack.

Selbst eine allgemeine Amnestie, die 1866 nach der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich erlassen wurde, kann ihn zunächst noch nicht zu einer Rückkehr bewegen, und man merkt seine Skepsis in einem Brief, den er am 26. September 1866 an Theodor Eichmann schreibt, in dem es heißt:

Die eben verkündete Amnestie ist nicht für mich, schon deswegen nicht, weil sie nur auf wirklich Verurteilte anwendbar ist. In diese Kategorie gehöre ich aber nicht. Ich bin nicht einmal verurteilt worden, aber ebensowenig hat man jemals die beiden im Jahre 1851 wider mich erlassenen Steckbriefe zurückgenommen.

Ein Jahr später aber gab die Ehrengabe, die durch eine allgemeine Sammlung zusammenkam und die respektable Höhe von 60 000 Talern erreichte, die Möglichkeit, finanziell sorglos nach Deutschland zurückzukehren. Er wählte aber nicht mehr einen Wohnsitz in seiner engeren Heimat oder am Rhein, sondern in Süddeutschland, in Württemberg. Hier war die liberale Gesinnung am besten gediehen, und hier hoffte er freier atmen zu können. Seine unverbrüchliche republikanische Gesinnung bezeugte er mit dem Gedicht Kabel und Draht, das als Gegensatz zu Blut und Krieg die Friedenstat der unterseeischen Kabelverbindung von Europa nach Amerika feierte. In seiner Gesinnung blieb er auch fest, als die Gründung des Reiches 1871 alsbald der Bismarckschen Politik Recht zu geben schien.

In einem Brief an seinen Freund Berthold Auerbach vom 8. April 1874 schreibt er:

Ich brauche Dich nicht daran zu erinnern, wie ich in den Tagen der Gefahr mich rückhaltlos auf die nationale Seite gestellt habe. Daß ich darum aber das Reich, wie es aus dem Kampfe hervorgegangen ist, für das Höchste halten sollte, für das Ideal, nach dem wir alle gestrebt, für das wir Kerker und Exil nicht gescheut haben, das, mein Lieber, fällt mir nicht ein. Ich akzeptiere die Dinge, wie sie sind, als eine zeitweilige Notwendigkeit, aber ich begeistere mich nicht dafür.

Das erstickt deutlich den Versuch, ihn seiner Hurra Germania wegen zu einem Bejaher des Bismarck-Kreises und des übersteigerten Nationalismus zu stempeln. Er war und blieb Republikaner, wenn auch nicht mehr der Feuergeist der früheren Jahre.

Als er am 18. März 1876, dem Tage der 48er Revolution, in Cannstatt 65 Jahre alt für immer die Augen schloss, trauerten nicht nur seine Freunde, sondern weite Kreise des deutschen Volkes. Sein englischer Freund James Leonhard Corning schrieb damals:

Über Ozeane und Kontinente, an alle Stellen, wo die Freiheit geliebt und die Dichtkunst geehrt wird, hat der Telegraph die Nachricht getragen, daß Ferdinand Freiligrath zur großen Armee derjenigen abberufen wurde, die zwar einmal die Erde mit ihrer Gegenwart beglückten, aber nicht mehr länger unter uns weilen. Mit seinem Tod betrauert Deutschland den Verlust eines Mannes, dessen Namen zum Ruhm der deutschen Literatur beitrug und der viel für die Sache der Freiheit getan hat. Aber nicht nur die deutsche Nation beklagt das Hinscheiden ihres Sohnes, nein, der Mensch, von dem wir hier schreiben, hatte eine solch umfassende Seele, daß sie den Rahmen nur einer Nationalität sprengte. Er war ein Kosmopolit in jedem Gedanken und Wort. Die gesamte zivilisierte Menschheit betrauert den Verlust eines ihrer edelsten Brüder.




Letzte Änderung am Sonntag, 02 Februar 2014 12:29