Ferdinand Lassalle

Ferdinand Lassalle heute...

Wie gestern hat in seinem Wollen und Können jene Bedeutung beibehalten, die ihm frühere Jahrzehnte beigemessen haben. Vor einigen Tagen wurde auf der Friedrichstraße eine Gedenktafel enthüllt, denn ein Teil seiner Lebensgeschichte verbindet ihn auch mit Düsseldorf. Ludwig Matull, ein Kenner seiner Ziele, hatte 1975 eine Arbeit niedergeschrieben, die vor 10 Jahrem dem Hermann-Smeets-Archiv überlassen wurde und die wir nunmehr zum Abdruck bringen.

Lassalle

In einem Beitrag unter dem Titel Lassalle und die Rheinlande, für die Zeitschrift Der Wegweiser des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW habe ich jenen Agitationsfeldzug geschildert, den Ferdinand Lassalle in seinem letzten Lebensjahr in Solingen, Barmen, Köln, Wermelskirchen, Ronsdorf und Düsseldorf mit beispiellosem Erfolg durchgeführt hat. Tausende und Abertausende waren zusammengeströmt, der Begeisterung war kein Ende. Paul Lindau lässt den Wuppertaler Dichter Karl Siebel berichten:

Und nun hättest Du die Barmer Versammlung sehen sollen, die Tausende, die im fürchterlichen Gedränge zusammengedrängt im Saale stehen, den Blick auf Lassalle gerichtet, die den Atem anhalten, um nur kein Wort zu verlieren, und die dann allesamt spontan in einen Jubel ausbrechen, den ich Dir nicht schildern kann, als wenn sich eine elektrische Batterie entlädt..

Lassalle selbst schildert seine Eindrücke von dieser Propagandafahrt:

Überall dasselbe Bild: Feierlicher Empfang durch Deputationen, Einholung in Blumen-geschmückten Wagen, Ehrenpforten und Begrüßungslieder. Dann fährt er fort: Hier war nicht mehr von einem Parteifest oder von einer Parteiversammlung die Rede. Die ganze Bevölkerung war in einem namenlosen Jubel. Ich kam - ohne es zu zeigen - aus einer gewissen Verwunderung gar nicht heraus, dass gerade die Landgemeinden diese Agitation so gewaltig ergreifen konnte. Ich hatte beständig den Einblick, so müsse es bei der Stiftung neuer Religionen ausgesehen haben.

Lassalle hatte sich zu einem glänzenden Volksredner entwickelt, er wusste, wie man auf der Klaviatur einer Massenversammlung zu spielen hatte. Der Verfasser der neuesten politischen Biographie Lassalles, nämlich Shlomo Naaman - von Haus ein Deutscher aus Essen, der heute in Israel lebt - hat in seinem fast 900seitigen, auf der Höhe moderner Forschung stehenden Opus davon gesprochen, dass Lassalle einen Versammlungsstil entwickelt hat, der erst in unserem 20. Jahrhundert seine Triumphe gefeiert hat.

Als er in Solingen im Zusammenhang mit einer Messerstecherei zur Auflösung der Versammlung kommt, Lassalle von Gendarmen zur Wache geführt wird, schickt er das berühmt gewordene Telegramm an Bismarck:

Fortschrittlicher Bürgermeister hat soeben an der Spitze von 10 mit Bajonettgewehren bewaffneten Gendarmen von mir einberufene Arbeiterversammlung ohne jeden gesetzlichen Grund aufgelöst. Mit Mühe das Volk - an 5000 Mann - von Tätlichkeiten abgehalten. Bitte um strengste, schleunigste gesetzliche Genugtuung, F. Lassalle .

Natürlich wusste der Verfasser dieses Telegramms genau, dass Bismarck das Ganze eigentlich nichts anging, dafür gab es andere Instanzen, er hat gewiss auch keine direkte Antwort von Bismarck erwartet. Worum es ihm ging, war, vor der Öffentlichkeit klarzumachen, dass er der Arbeitsführer sei. Shlomo Naaman folgert zutreffend:

Mit der Solinger Depesche war ein neues und uneehörtes Prinzip als sozialdemokratische Taktik verkündet. Die Arbeiter organisieren sich und benutzen jedes passende Mittel, das erste ist die Organisation ... Die Förderung die Organisation wurde hier zum direkten Ziel Lassalles, das Organisationsprinzip beherrschte nun erstmalig sein Handeln, das große Experiment war zu einer maßgebenden Wirklichkeit geworden.

Wenn später in Arbeiterversammlungen der Refrain des Liedes Wohlan, wer Rechte und Wahrheit achtet, zu unsrer Fahne steht zuhauf'... Der Bahn der Kühnen folgen wir, die uns geführt Lassalle! erklang, in diesen Versammlungen im Rheinland ist dieser Arbeiterbewegung gelegt worden. Am Schluss des Offenen Antwortschreibens an das Zentralkomitee zur Berufung eines allgemeinen Deutschen Arbeiterkongresses zu Leipzig vom Jahre 1863 stehen die geradezu klassischen Worte:

Organisieren Sie sich als ein allgemeiner deutscher Arbeiterverein ... usw.

Organisieren Sie sich - das blieb ein Zauberwort für die nächsten Jahrzehnte und hat die Voraussetzungen für die Massenbasis der Arbeiterbewegung geschaffen. Zugleich sei festgestellt, dass dieser ADAV - unter den zu berücksichtigenden Zeitbedingungen -nichts anderes war als die Vorstufe einer politischen Partei.

In einen Brief an Wilhelm Rüstow hat Lassalle geschrieben: Hier handelt es sich um eine neue Parteibildung und eine wirkliche demokratische Bewegung, die einen allgemeinen demokratischen, politischen Durchbruch durch die schwere Fortschrittsluft herbeizuführen imstande sein sollte.

Dieses Massenerlebnis hat Lassalle emotional zu höchster Willensanstrengung - und er war ein Mann einer ungeheuren Willenskonzentration- emporgehoben; was er über den Tag hinaus geleistet hat, fasst Shlomo N'aman in die Worte zusammen:

Es waren nicht mehr jene hochfliegenden Ideen von kommunistischer Einheitsrepublik, von Großdeutschland und europäischer Revolution, sondern das... Ziel, eine Rechtssphäre für die Entwicklung der Arbeiterbewegung freizuhalten und die Arbeiterbewegung nicht aus dem Rahmen der allgemeinen politischen Entwicklung herauszudringen, sie nicht an die Peripherie und in den Schmollwinkel schieben zu lassen.

Wenn man Lassalles historische Leistung in wenigen Sätzen zusammenzufassen versucht, wird offensichtlich: Neben der organisatorischen Basis im Allgemeinen Deutschen Ar-beiterverein - letztlich dem Vorläufer der SPD -stehen folgende Erkenntnisse im Vor¬dergrund: In dem gleichen Schlusswort seines Offenen Antwortschreibens an die Leipziger Arbeiter befindet sich der Hinweis auf eine gesetzliche und friedliche, aber unermüdliche und unablässige Agitation für die Einführung des allgemeinen und direkten Wahlrechts in allen deutschen Ländern.

Das beinhaltet die Erkenntnis, dass die von Marx und Engels angenommene revolutionäre Chance von 1848 abgelaufen war, dass die Realitäten der 60er und 70erJahre des vorigen Jahrhunderts auf ein Deutsches Reich mit der Vorherrschaft Preußens verwiesen und dass eine sich gerade erst formierende Arbeiterbewegung, wollte sie nicht sofort Verboten zum Opfer fallen, den evolutionären, legalen Weg einschlagen musste.

Lassale war keineswegs antirevolutionär und sein Anspruch Verfassungsfragen sind Machtfragen, zeigt deutlich, dass er nicht etwa eine konformistische Integration in den Staat, sondern dessen Umwandlung und Veränderung zugunsten der Arbeiter mit den nun gebotenen Mitteln anstrebte. Dennoch bleibt die Heranführung der Arbeiterbewegung an den Staat, die Integration in Staat und Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen, die großartigste Leistung Lassalles. Mit Recht hat Carlo Schmid den Unterschied des Wirkens von Ferdinand Lassalle gegenüber Marx und Engels – ohne deren historische Bedeutung zu schmälern - so herausgestellt:

Es waren nicht so sehr die schwer eingängigen, wenn auch brillant formulierten apoka-lyptischen Geschichtsbetrachtungen der beiden Dioskuren, was der deutschen Arbeiterschaft die Augen öffnete und ihr die Kräfte des Willens weckte, ohne die Theorie zu Bibliotheksmaterial wird, es war der Appell Ferdinand Lassalles, der aus den theoretischen Grundlegungen des großen Karl Marx heraustrat und an die Stelle der wissenschaftlichen Analyse eine Visierlinie setzte, deren Wert und Sinn immerfort auf das eigentliche Ziel der Geschichte wies: Die Befreiung des Menschen aus der Objektsituation, in die man die seelenlosen Mechanismen der arbeitsteiligen Industriegesellschaft geworfen hatten; die Aufhebung der Selbstentfremdung des Menschen durch die Willenskraft des Menschen selbst!

Wir sprechen heute nicht mehr von den ökonomischen Vorstellungen Lassalles, seine Gedanken vom niederdrückenden Zwang des ehernen Lohngesetzes sind für uns ziemlich abgetan. Wir stoßen uns auch nicht an autoritären Zügen in seiner Präsidententätigkeit für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, die heute rasch unmöglich waren. Wir halten uns heute auch nicht auf mit Charakterfehlern, Gefühlsausbrüchen und Eigenwilligkeiten dieses Arbeiteragitators - das sind Zeitbedingtheiten, die mit dem zeitlichen Ablauf versinken. Was bleibt, ist dass es vor ihm Utopien, Schwarmvorstellungen, Ge-heimkonventikel und Klübchen, bestenfalls erste Ansätze zu Arbeiterbildungsvereinen gab. Nach ihm wurde der Weg für den Einstoße der sozialdemokratischen Bewegung in handelnde Geschichte möglich - dass diese Geschichte so erfolgreich verlief - mit der Integration in Staat und Gesellschaft - ist Lassalles zuzuschreiben.

Ein Staatsmann, der die Sozialdemokratie bekämpft hat und ihren Aufstieg durch das Sozialistengesetz von 1878-1890 zu lähmen versuchte, hat dennoch auf Grund seiner Gespräche mit Lassalle bekennen müssen:

Ich habe ihn gesehen, und von dem Augenblick an, wo ich mit ihm gesprochen, habe ich es nicht bereut... er war einer der geistreichsten und liebenswürdigsten Menschen, mit denen ich je verkehrt habe, ein Mann, der ehrgeizig im großen Stil war.
Zum Schluss heißt es dann:
Ich bedaure, dass seine politische Stellung und die meinige mir nicht gestatteten, viel mit ihm zu verkehren, aber ich würde mich gefreut haben, einen ähnlichen Mann von dieser Begabung und geistreichen Natur als Gutsnachbar zu haben.

Die kommunistische Welt ist bis heute nicht mit einer zutreffenden Einordnung Lassalles fertig geworden. Während Lenin von dem Gedanken der Spontaneität sehr angetan war, schrieb die Große Sowie-tenzyklopädie 1953:

Lassalle, Ferdinand, deutscher kleinbürgerlicher Sozialist, legte den Grundstein zu einer Abart des Opportunismus in der Arbeiterbewegung der SPD -den Lassalleanismus.

So übergeht man denn auch heute in der DDR die historische Bedeutung Lassalles schamhaft, weil man in der Auseinandersetzung mit seinen Ideen und Taten einfach nicht fertig geworden ist. Wenn man Marx und Engels mitunter sich böse an Lassalle gerieben haben und Schmähworte nicht fehlten, so hat Marx anläßlich des Todes von Lasselle höchst ehrenwerte Worte der Anerkennung gefunden:

Er starb jung, im Triumphe als Achilles und an anderer Stelle: Das Unglück des Lassalle ist mir dieser Tage verdammt durch den Kopf gegangen. Er war doch immer nicht einer von der vieille souche und der Feind unserer Feinde.

Und Engels musste sich schließlich zu der Erkenntnis verstehen:

Dennoch bezeichnet er den Ausgangspunkt der zweiten Entwicklungsstufe des Sozialismus in Deutschland. Denn es gelang dem Talent, dem Feuereifer, der unbe¬zähmbaren Energie Lassalles, eine Arbeiterbewegung ins Leben zu rufen, an welche sich durch positive oder negative, freundliche oder feindliche Bande alles knüpft, was... das deutsche Proletariat selbständig getan hat!

Fernab einer heroisierenden und damit letztlich naiven Glorifizierung Lassalles, fernab aber auch von popularisierenden und dabei simplifizierenden Betrachtungen, wie siejubiläumsfeiern mit sich bringen, stehen heute Größe und Leistung, Widersprüchlichkeit und Begrenzung, Unzulängliches und Geniales bei Ferdinand Lassalle fest. Als Geburtshelfer einer entstehenden Arbeiterbewegung hat er Akzente gesetzt, die organisatorisch, erst recht ideelich nicht mehr zu verwischen sind.

Der Schlussrefrain des Liedes Der Bahn, der Kühnen folgen wir, die uns geführt Lassalle, ist in der Tat der Weg der deutschen Arbeiterbewegung und mit ihr der Sozialdemokratie geworden. Dafür gebührt Ferdinand Lassalle der historische Dank in Gestalt unseres aktiven Wirkens für die Gegenwart.

Quelle: Die Bilker Sternwarte - Zeitung des Heimatvereins Bilker Heimatfreunde




Letzte Änderung am Sonntag, 02 Februar 2014 12:30