Hermann Smeets und der Neuanfang

Höchster Einsatz für die Bewältigung der Diktatur.

Am 17. April 1945 war für Düsseldorf der Zweite Weltkrieg beendet. Von Benrath her kommend, zogen die Amerikaner in die Stadt ein, begleitet von dem Düsseldorfer Architekten Aloys Odenthal und dem Rechtsanwalt Dr. Karl August Wiedenhofen, Mitgliedern der Widerstandsgruppe um den in der Nacht zuvor hingerichteten Kommandeur der Düsseldorfer Schutzpolizei, Franz Jürgens. Genau wie die Männer der Antifako um Walter Jordan alias Hermann Smeets hatten sie die Amerikaner erreicht, allerdings nicht in Neuss, sondern in Mettmann und Langenfeld, und sie dazu bewegen können, die Stadt einzunehmen – kampflos. Polizeipräsident und SS-Brigadeführer August Korreng beging Selbstmord, Gauleiter Karl Friedrich Florian wurde gefangengenommen.

Für die Düsseldorfer brachen nach den schweren Kriegs- die nicht einfacheren Friedenszeiten an. Zwar hatten die Kämpfe und die Luftangriffe aufgehört, aber große Teile der Stadt waren zerstört, die Lebensmittel waren knapp, sehr viele Menschen waren obdachlos oder in requirierten Wohnungen zusammengepfercht, ein Großteil von ihnen hatte im Krieg Verwandte, Freunde und Bekannte verloren. Außerdem konnten es viele nicht verkraften, dass die jahrelangen Hoffnungen und Entbehrungen vergebens gewesen waren, dass sie vom dem zwölf Jahre zuvor so hochgejubelten nationalsozialistischem Regime im Stich gelassen worden waren. Stattdessen war die Stadt erneut besetzt – die älteren Einwohner der Stadt kannten diese Situation, hatten sie diese doch etwa zwanzig Jahre zuvor schon einmal erlebt.

Um ein halbwegs geordnetes Leben und eine einigermaßen vernünftige städtische Verwaltung wieder hinzukriegen, bedurfte es der Zusammenarbeit mit den Amerikanern, die bis zu ihrer baldigen Ablösung durch die britische Besatzungsmacht die Herren in der Stadt waren. Einer von den Menschen, Männer und Frauen, die die Zusammenarbeit mit den Alliierten suchten, war Walter Jordan alias Hermann Smeets. Über die Versuche, mit den Amerikanern vor deren Einmarsch in Kontakt zu kommen, war den neuen Befehlshabern die Antifako, die Antifaschistische Kamporganisation, bereits bekannt.

Die von Hermann Smeets und anderen gegründete Organisation hatte ihre Daseinsberechtigung mit dem Kriegsende keineswegs verloren, im Gegenteil: Es gab in Düsseldorf viel zu tun, und sie hatte sich längst neue Ziele gesetzt. Am 9. Mai 1945 legten Hermann Smeets, Dr. Karl August Wiedenhofen und der Amtsgerichtsrat Dr. Karl-Heinz Henseler diese den Amerikanern dar: Der Organisation „gehören nur solche Personen an, die niemals Mitglieder der NSDAP oder ihrer Kampformationen gewesen sind und ihre antifaschistische Gesinnung während ihrer Vergangenheit unter Beweis gestellt haben. Zweck der Vereinigung ist die völlige Ausrottung des nationalsozialistischen Gedankengutes und die Erziehung des deutschen Volkes zum freien Denken und zur echten Menschlichkeit. Wir verfolgen demokratische Grundsätze. Wir erstreben insbesondere die Säuberung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens von nationalsozialistischen Elementen und den Neuaufbau unter Einsatz einwandfreier Personen."

Der erste Oberbürgermeister wurde bereits am 17. April der bisherige Stadtkämmerer Dr. Wilhelm Füllenbach, laut Stadthistoriker Dr. Hugo Weidenhaupt der Mann, „der als einizger höherer Beamter genug Vertrauen erweckte und auch verdiente, von der Besatzungsmacht als kommissarischer Oberbürgermeister" eingesetzt zu werden. Nach seinen eigenen Erinnerungen war Hermann Smeets zunächst als Polizeipräsident vorgesehen, „aber das scheiterte an meiner niederländischen Staatsbürgerschaft". Dem Oberbürgermeister wurde allerdings als Begründung, dass Smeets das Amt nicht annehmen könne, angegeben, „seine Arbeitskraft" sei „restlos in Anspruch" genommen.

Während die Antifako weiter existierte, bildete sich unabhängig davon auch eine antifaschistische Institution, die Antifa, quasi eine Sammelstelle der lokalen ehemaligen Widerstandsgruppen. Nach kurrzeitigem Verbot der Antifa durch die amerikanische Militärverwaltung, bildete diese einen Zehnerausschuss unter der Leitung von Hermann Smeets, dem u.a. Dr. Henseler, Dr. Wiedenhofen, der Gerresheimer Arzt Dr. Karl Hagedorn, aber auch die katholischen Pfarrer Karl Büchler und Franz Merzbach, beide aus Bilk, angehörten. Diese traten allerdings bereits Mitte Juni wieder zurück mit der Begründung, dass der Zehnerausschuss wichtige Aufgaben hätte, die andere Männer als zwei Pfarrer wirksamer erfüllen könnten. Der Zehnerausschuss bestand neben dem von den Amerikanern später berufenen Vertrauensausschuss der Bürgerschaft, dem Smeets – angeblich ebenfalls wegen seiner niederländischen Staatsangehörigkeit – nicht angehörte.

„Wir im Zehnerausschuß", so erinnerte sich Hermann Smeets fast 40 Jahre später im Interview mit Andreas Kussmann, „sollten nur eine beratende Funktion haben. Mit wem hätte die amerikanische Besatzungsmacht denn mal was besprechen können? [...] Die Amerikaner fragten uns wohl, was sie denn aus unserer Sicht in Düsseldorf anordnen sollten. Wir konnten ihnen Vorschläge machen: das müßte so und so gemacht werden. Aber richtigen Einfluß hatten wir natürlich nicht – wir konnten denen ja keine Anweisungen geben. Wenn denen unsere Vorschläge paßten, dann ja – wenn nicht, dann nicht."

Im wesentlichen kümmerte sich die Antifa um die Betreuung von NS-Opfern oder heimkehrende KZ-Häftlinge, sie sammelten Geld und Kleider, ließen sich aber auch deren Erlebnisse berichten. Zahlreiche Hilfeersuchen erreichten den Zehnerausschuss. Die „Antifaschistische Kampftruppe Wersten" berichtete von der Ehefrau eines „standrechtlich Erschossenen", die auf der Suche nach Arbeit und Unterstützung „von einem Büro zum anderen" geschickt würde. „Es wäre empörend, wenn diese Frau nicht bald zu ihrem Recht käme. [...] der Fall muß wohl so betrachtet werden, als sei es ein K-Z-Fall. Wenn auch der tapfere Mann nicht mehr lebt, so hat er uns eine Frau hinterlassen."

Außerdem bemühte sich der Zehnerausschuss aktiv um die Entnazifizierung. Dabei wurde in einer Sitzung Anfang August 1945 beschlossen, dass er nicht darum gehen könne, die „kleinen Nazis" zu verfolgen, denn in dieser Zeit „fühlen die ‚Großen' wieder Oberwasser und führen das Wort." Dieses schien in einigen Behörden auch durchaus der Fall zu sein: Der Zehnerausschuss stellte dies bei der Antragstellung seitens ehemaliger KZ-Häftlinger oder Zuchthäusler fest und riet dazu, bei der Antragstellung gegenüber Behörden „soll man unter keinen Umständen die antinationalsozialistsche Einstellung oder die Jahre Zuchthaus, die der Antragsteller abgesessen hat, darauf vermerken, denn sonst läuft er in die Gefahr, da[ß] sein Antrag bestimmt abgelehnt wird."

Eine wichtige Aufgabe war die „Entnazifizierung". Der Zehnerausschuss stellte u.a. fest, dass bei den Stadtwerken noch hunderte „Pg's", also Parteigenossen, saßen. Hermann Smeets selbst hatte die Aufgabe, sämtliche Betriebe des Einzelhandels „durchzukämmen" und Fragebogen zu verteilen. Jeder, der ein Geschäft eröffnen wollte, hatte eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vorzulegen. Diese Entnazifizierung, so wichtig und sinnvoll sie war, hatte leider auch ihre unschönen Seiten. Hermann Smeets erinnerte sich an üble Denunziationen, die vorgekommen waren: „Auch eine Frau habe ich mal rausgeschmissen. Die ist gekommen, um ihren Mann anzuzeigen, das wäre ein Nazi. Es ging ihr aber bloß darum, ihren Ehemann loszuwerden. [...] Es hat üble Sachen gegeben, Denunziationen übelster Art."

Bereits nach wenigen Wochen war die amerikanische Miltärregierung durch die britische Besatzungsmacht abgelöst worden. Mit ihr gerieten die diversen Bürgerausschüsse wie die Antifa sehr bald in Konflikt, auch weil sie wesentlich größere Autonomie beanspruchten, als die Briten ihnen zugestehen wollten. Zu diesem Zeitpunkt war Hermann Smeets allerdings nicht mehr im Zehnerausschuss präsent, bereits im August 1945 wurde er hinausgedrängt. Aus seinen im Interview niedergelegten Erinnerungen geht nicht hervor, wie sehr dies den überzeugten Christdemokraten persönlich getroffen haben musste. Der Grund war: „Ich war denen nicht radikal genug. Peter Waterkortte, KPD-Mann und später auch Bürgermeister, hat mich zu sich in die Hoffeldstraße bestellt und mir dort gesagt, ich solle zurücktreten und den Vorsitz dem Dr. Hagedorn übertragen. ‚Wieso das denn?' – ‚Tja, das ist eine Anordnung von oben.' Was bei den Kommunisten ‚von oben' heißt, das weiß man nie. Zunächst habe ich mich geweigert. Darauf sagte er zu mir: ‚Das will ich dir mal sagen: wir haben Möglichkeiten, daß du da wegkommst.' So hat er mir gedroht. Ich bin dann noch einmal zu einer Sitzung in die Eisenstraße gegangen, dort habe ich dann kapitulieren und das Amt abgeben müssen."

Lange konnte sich der Gerresheimer Arzt Hagedorn nicht an seinem Amt erfreuen: Die britische Militärregierung verfügte per 12. Oktober 1946 die Auflösung der Antifa sowie aller anderer Bürgerausschüsse. Am 13. Oktober 1946 wurde die erste Stadtverordnetenversammlung gewählt.

Quelle: Dr. Christian Leitzbach